Am 07. April 2023 veröffentlichten Lucy Kruger & The Lost Boys ihr fünftes Studioalbum Heaving via Unique Records. Wie eine Welle bricht Heaving über einen herein, sich dem Sog dieser musikalischen Kraft zu entziehen, ist auf eine gute Art unmöglich. Denn das Art-Pop-Noise-Projekt rund um die südafrikanische Wahl-Berlinerin Lucy Kruger erschafft atmosphärischen, intensiven Pop Noir, der besonders durch die lebendige und losgelöste Art des akustischen Storytellings geprägt ist.
Direkt zu Beginn des Albums verlangt Lucy Kruger gehört zu werden, jetzt ist ihre Zeit. Getragen von einem pulsierendem Beat singt sie nah an der Grenze zu Spoken Word in „Auditorium“: „Here / I speak / Here / I’m speaking“. Der menschliche Körper, ihr Körper, ein immer wiederkehrendes Motiv und zentrales Instrument des Albums. Bewusst nutzt Lucy Kruger das Pulsieren, die Ruckartigkeit und die Echos ausgelöst durch elektronische Elemente und häufig auch durch ihre Stimme, um Heaving zum Leben zu erwecken. Der Sound wirkt dadurch wie ein sich bewegender, seufzender Körper – fast schon greifbar, wie die gleichnamige Vorab-Single „Heaving“ deutlich visualisierte.
Angelehnt an die Worte der Dichterin und Essayistin Anne Carson, die in ihrem Buch „Glass, Irony and God“ folgendes schrieb: „Every sound we make is a bit of autobiography. It has a totally private interior yet its trajectory is public. A piece of inside projected to the outside”, tauchte Lucy Kruger in den Prozess des Albums, anstatt klassisch mit dem Stift zu beginnen, durch die Performance ein. Lucy Kruger sagt dazu: „There is something about the physical act of singing and shaping sounds that allows one to transcend the usual cerebral boundaries of the written or conventionally spoken word. Melody, rhythm and rhyme have the capacity to carry one into a more intuitive state, in which words and phrases are less bound by pre-conceived concepts.“
Die Lyrics von Heaving tauchen tief in menschliche Gefühle und Prozesse ein. Lucy Kruger thematisiert Verlangen und Verlust, Angst vor dem Tod und Einsamkeit, Zerstörung und die große Liebe. Verbildlicht durch die ursprünglichsten menschlichen Sinneserfahrungen, handeln die Lyrics von Berühren, Riechen und Schmecken. Der rote Faden ist dabei stets der Körper – alles, was er in sich trägt, dargestellt als Landschaft und gleichzeitig runtergebrochen auf das, was die Zeit mit ihm machen wird. Lucy Kruger & The Lost Boys war es wichtig, zunächst Emotionen zuzulassen, sie mit Humor zu mischen, um dann Instrumentierungen über das Skelett aus Beat und Text zu spannen. Durch Bratschen, Gitarren, Schlagzeug, Bass und Piano kommen verschiedene Interpretationen und Gefühle an die Oberfläche. Mit diesem Prozess verfolgte Lucy Kruger ein klangliches Ziel: „I wanted this album to be less ethereal somehow. Rooted in the depths, of my body, of my lover’s body, of the earth, where it is dark and wet, and where you might find rot but you will also certainly find life. To somehow get pulled into the moment, through a focus on sensation. A lot of the lyrics deal with touch, smell, taste. The body, and all it holds, imagined intimately, almost as landscape, but also for what it is. And for what will happen to it in time. A reckoning with death and loss that might allow for a more vibrant understanding and engagement with life.”
Eine starke Rolle bei der Herausbildung des idiosynkratischen Sounds von Heaving spielten die Musiker:innen Liú Mottes (Gitarre, Bass-Synthesiser, Bass-Gitarre, Piano), Martin Perret (Schlagzeug), Jean-Louise Parker (Violine, Gesang), Calvin Siderfin (Bass), Andreas Miranda (Bass), Gidon Carmel (Schlagzeug) und André Leo (Gitarre). Allesamt Weggefährt:innen, die in den verschiedenen Formationen der Lost Boys über die Jahre hinweg den Klang maßgeblich geformt und beeinflusst haben.
So verpackt das fünfte Album von Lucy Kruger & The Lost Boys ein breites Soundspektrum in zehn facettenreichen Songs. Die Single „Burning Building“ kommt als treibende Riot-Grrrl-Anthem daher und die Vorabauskopplung „Stereoscope“ mutet einem atmosphärischen Trip-Hop/Indie-Pop-Track an. Während die zuletzt veröffentlichte Single „Heaving“ Intimität aufs Essentielle reduziert und beinah extraterrestrisch darstellt, entfalten Album-Songs wie „Front Row“ langsam eine Geschichte über Verlangen, getragen von dunklen Gitarren, vollem Bass und fast schon Mantra-artigen Backing Vocals.
Dass Heaving so explizit körperlich wirkt, liegt an Lucy Krugers Herangehensweise an den Schreibprozess: „With this new album, I wanted to reach a sub layer of my skin, and of the song. To get closer to the sound, effort and energy of the pulse that pushes and pulls me, both violently and tenderly. To draw something out, mostly through the use of my voice, which in the moment of experimenting and writing, I understood to be a part of my body, myself, being offered up, without knowing how that offering would present itself. To invite strangeness. To risk oozing and excess. Or the opposite.”
PHOTOCREDIT: Lucy Kruger (C) BY Francis Broek via Unique Records
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